Stille Teilverstaatlichung, Kommentar zur Credit Suisse von Daniel Zulauf

Börsen-Zeitung

Zürich (ots)

Die größte Aktionärin der Credit Suisse ist mit einem Anteil von 9,9 Prozent neuerdings die Saudi National Bank. Sie gehört mehrheitlich dem saudischen Königshaus beziehungsweise den staatlichen Institutionen des Scheichtums. An dieser Tatsache kann man sich aus guten Gründen stören. Die von Saudi-Arabien hochgehaltenen gesellschaftlichen Werte und die davon abgeleiteten politischen Handlungen des Landes haben nämlich wenig mit dem demokratischen Wertesystem der Schweiz oder generell mit dem Wertesystem der westlichen Welt gemein.

Doch diese Moralkritik ist zweifelhaft, sofern sie sich allein auf die Credit Suisse bezieht. Die Petrodollars der Saudis stecken schließlich in zahlreichen renommierten Firmen fast aller westlichen Industrieländer: im amerikanischen Lieferdienst Uber, in der französischen Hotelkette Accor, im britischen Fußballclub Newcastle und im ja­panischen Technologiekonzern Softbank.

Saudi-Arabien betreibt einen der größten staatlichen Investitionsfonds der Welt, und überall in den alten Industrieländern sagen sich die Kapitalisten ganz offensichtlich: Geld stinkt nicht. Doch auch sie hätten allen Grund, die Saudi-Investments und aktuell gerade jenes bei der Credit Suisse kritisch zu bewerten. Im Grunde ist die Credit Suisse jetzt nämlich eine teilverstaatlichte Bank. Rund 15 Prozent der Aktien gehören den Scheichs von Saudi-Arabien und Katar.

Der Erfolg einer freien Marktwirtschaft beruht bekanntlich nicht auf einem zentralen Plan, sondern auf der eigennützigen Initiative und Risikobereitschaft vieler einzelner Akteure. Die Erfahrung lehrt uns seit mehr als einem Jahrhundert, dass dieses scheinbar chaotische System die besten Ergebnisse für den allgemeinen Wohlstand hervorbringt.

Es sollte uns zu denken geben, dass die Staatsfonds dieser Welt zu den größten Investoren in vielen westlichen Volkswirtschaften aufgestiegen sind. Im vergan­genen Jahr haben Staatsfonds 60 Prozent mehr Transaktionen ab­geschlossen als im Durchschnitt der vorausgegangenen fünf Jahre. Das Investitionsvolumen ist auf 72 Mrd. Dollar angestiegen, und es geht offenbar immer mehr in die Breite. In­zwischen verantworten Technologie- und Konsum­güterfirmen rund ein Drittel der Inves­titionen von Staatsfonds­, wie im Jahresbericht des International Fo­rum of Sovereign Wealth Funds nachzulesen ist.

Diese Entwicklung verheißt nichts Gutes für den Zustand der Marktwirtschaften nach dem demokratischen, westlichen Zu­schnitt. Und leider verheißt das Saudi-Engagement für die Credit Suisse langfristig nichts Gutes.

So hatte sich das der legendäre Zürcher Politiker und Unternehmer Alfred Escher gewiss nicht vorgestellt, als er vor 166 Jahren die Gründung der Credit Suisse in die Hand genommen hatte. Das zunächst mit halber deutscher Beteiligung erschaffene Kreditinstitut war das Finanzierungsvehikel für den Bau des Schweizer Eisenbahnnetzes und eine Art Denkmal für jene liberalen Kreise, die im Jahr 1848 die moderne Schweiz begründeten. Hätte sich dieser Tage statt Saudi-Arabien der Schweizer Staat mit 9,9 Prozent an der Credit Suisse beteiligt, wäre es zu einem nationalen Aufschrei im linken wie im rechten politischen Lager gekommen – und zwar zu Recht.

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